Warum ein zweites Buch?
Viele LerserInnen waren interessiert an dem Schicksal meiner Freundin Kristel. Auch für mich war unsere Freundschaft durch die intensive Erinnerung an sie wieder sehr präsent. Und ich beschäftigte mich tiefer mit ihren Aufzeichnungen. Sie kamen nach ihrem Tod als Vermächtnis zu mir. Da ich wusste, dass Kristel geschrieben hat, um gehört zu werden, vervollständigte ich ihre Geschichte und setzt meiner Freundin somit ein Denkmal.
Die Dritte im Bunde ist Brit, die vor der schrecklichen Hoheneck-Zeit weglaufen wollte. Sie lief bis nach Australien und fand dort zunächst vor ihrer Vergangenheit Schutz und Ruhe. Bis sie auf das Buch „Eingesperrte Gefühle…“ stieß, da war es vorbei. Ihre verdrängten Schmerzen schrien nach Offenbarung. So hat sie sich durch das Schreiben von der Last der Vergangenheit befreit und wurde somit zu meiner Mitautorin.
Beginn einer starken Freundschaft
von Birgit Grapentin
Mitautorin von „Freundschaft trotzt Mauern“ Hoheneck und ein Leben danach
Brief an Marie:
„Im Februar 2019 sah ich im Internet eine Ankündigung von einer Buchlesung von dir, Marie. Dein Schicksal, dein weiterer Lebensweg, deine Kraft beeindruckten mich sehr. Als ich las, dass du von deinem Sohn getrennt wurdest und nach so vielen Jahren den Mut hattest, mit deiner Geschichte an die Öffentlichkeit zu treten, musste ich dir einfach schreiben. Ich hatte bisher vermieden, engen Kontakt mit Frauen aufgrund der Vergangenheit einzugehen.
Bei dir war das ganz anders. Ich warte auf jede E-Mail und jeden Anruf von dir. Deiner Einladung, dich bei meinem Besuch in Deutschland persönlich kennenzulernen, bin ich sehr gerne gefolgt. Nie hätte ich erwartet, dass sich aus unserem Austausch eine so außergewöhnliche Freundschaft entwickeln könnte. Ich habe das Gefühl, dass wir uns schon sehr lange kennen.
Erst durch dich, Marie-Luise, durch unsere ganz besondere Freundschaft, habe ich die Kraft gefunden, auch meine eingesperrten Gefühle herauszulassen. Du hast mir geholfen, die bisher verschlossene Tür zu meiner Vergangenheit zu öffnen. Nur gemeinsam mit dir war ich in der Lage, ihr ins Angesicht zu schauen. Ich danke dir aus tiefstem Herzen für das wertvolle Geschenk deiner Freundschaft. Ich umarme dich.“
Ich erinnere an einen ganz besonderen Menschen, anHarald Möller, einen lieben, Freund
LieberHarald, bei meinem Bemühen, meine ‚eingesperrten Gefühle‘, zu befreien, warstdu es, der mir half, in der Öffentlichkeit den richtigen Weg zu finden. Ich tastetemich vorsichtig durch einen Dschungel von Vorbehalten. Durch dich lernte ichsehr schnell, die Spreu vom Weizen zu trennen. Dabei denke ich vor allem an dieVorbereitung meiner Lesung im Frauenzuchthaus Hoheneck, bei der mirausgerechnet von Betroffenen ein eisiger Wind entgegen blies. Ich fühlte michdurch dich gestärkt und in meinem Bestreben aufzuklären unterstützt. Bis zumSchluss hatten wir einen regen Austausch, denn uns verband das gleiche Ziel.Durch intensive Öffentlichkeitsarbeit wollten wir vor allem junge Menschen überdas grenzenlose Unrecht des DDR-Staatesaufklären. Harald, du wirst mir fehlen, Marie-Luise.
Der langjährige Vorsitzende des Bautzen-Komitees, Harald Möller, verstarb am 4. Dezember 2019 im Alter von 91 Jahren. Der Landesbeauftragte betrauert den Verlust des gebürtigen Thüringers, der sich in den letzten 60 Jahren für die Aufarbeitung des SED-Unrechtes einsetzte.
Harald Möller wurde 1948 als 20-Jähriger wegen angeblicher Spionage zu zweimal lebenslänglich verurteilt. Von seinem Heimatort Vacha, unmittelbar an der thüringisch-hessichen Grenze, war er mit seinen Freunden öfter über die noch grüne Grenze zum Tanz gegangen. Bei manchen Gelegenheiten nahm er auch Briefe und Pakete mit. Als „Grenzgänger“ nahm er hierbei die Unterschiede zwischen Ost und West wahr. Auch brachte er Zeitungen von seinen Besuchen „im Westen“ mit und diskutierte die Inhalte mit seinen Studienkollegen. Harald Möller studierte mittlerweile in Eisenach an einer Fachschule für Neulehrer. Im April 1948 wurde er verhaftet und wochenlang von sowjetischen Offizieren verhört. Im August 1948 folgte der Prozess und die Verurteilung zu zweimal lebenslänglich. Ihm wurde vorgeworfen, Spionagematerial für die Amerikaner zu sammeln. Die Strafe wurde dann im Januar 1950 auf 25 Jahre Arbeitslager reduziert. Seine Haftzeit verbrachte er im „Gelben Elend“ in Bautzen, wo die Haftbedingungen katastrophal waren. In der Haft erkrankte er an offener Tbc. Ohne die Solidarität der Häftlinge untereinander, die sich mit primitivsten Mitteln gegenseitig halfen, hätte er nicht überlebt. Nach acht Jahren kam die Entlassung, doch auch der Neuanfang in Westdeutschland war steinig. Oft waren es alte Haftbekanntschaften, die ihm halfen, Fuß zu fassen. Auch deshalb war es ihm wichtig, gerade in der alten Bundesrepublik an das erlittene Unrecht zu erinnern und eine öffentliche Würdigung der Opfer anzumahnen.
Nach dem Mauerfall konnte er in seine alte Heimat und an den Ort seines Leids zurückkehren. Harald Möller engagierte sich für die Gedenkstätte Bautzen und für die Gedenkkapelle auf dem Karnickelberg. Lange Jahre war er Vorsitzender des Bautzen-Komitees, seit 2016 sein Ehrenvorsitzender. Er vertrat die Belange der Opfer immer aufrichtig und würdig, egal ob in der Gremienarbeit oder bei öffentlichen Auftritten. Viele schätzten seinen klaren Blick und seine freundlich kommunikative Art. Harald Möller fand immer die richtigen Worte – das Unrecht klar benennend, aber nie in Verbitterung und Hass endend. Harald Möller wird fehlen.
Text: Dr. Aris, Foto: Ralf Marten