aus der „Freiheitsglocke“
Über den Kampf um die Ausreise aus der DDR und ein eigenverantwortliches Leben
Die DDR ist verschwunden, aber es gibt sie noch – so kommt es einem vor, wenn man auf jene Schicksale blickt, die sich mit den Zwängen und der Unfreiheit in der Diktatur verbinden. Es sind die Lebenden und auch die inzwischen Verstorbenen, die für diese Erkenntnis stehen. Und es ist wichtig, daran zu erinnern, um erstens den untergegangenen Unrechtsstaat nicht in ein falsches, nämlich verharmlosendes oder verherrlichendes Licht zu rücken und um zweitens diesen Opfern und ihren Schicksalen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Gerechtigkeit heißt zunächst Wahrheit. Und Wahrheit heißt wiederum Akzeptanz, und das wiederum bedeutet, diesen Schicksalen Raum zu lassen, sie in der Öffentlichkeit ausbreiten zu dürfen. Oft ist das schmerzhaft und erschütternd, und fast immer geschieht es mit unterschiedlichen, mit individuellen Mitteln.
Unser Verband VOS bietet gemeinsam mit der Stiftung zur Aufarbeitung des SED-Unrechts in den Alten Bundesländern, vornehmlich in NRW, ehemaligen politischen Häftlingen die Möglichkeit, sich an weiterführenden Schulen vorzustellen und über ihre Erlebnisse und Erfahrungen im SED-Staat zu berichten. Es ist eine Gruppe von Zeitzeugen, die von der Universität Bochum und dem dort angesiedelten Institut für Deutschlandforschung betreut und geführt wird. Zu dieser Gruppe gehört die Autorin Marie-Luise Knopp, die schon mehrere Bücher veröffentlicht hat und vielfach Lesungen hält. Sie hat das bis vor kurzem bezogen auf ihr eigenes Schicksal getan. Ihr Buch von den „Eingesperrten Gefühlen“ hat dabei viele Leserinnen und Leser erreicht und teils tief berührt, darunter, was nicht selbstverständlich ist, auch Betroffene. Die Schilderung ihres Lebensweges bis hin zur Haft, dann die bösen Erlebnisse im Frauenzuchthaus Hoheneck sind sehr persönliche Zeitzeugnisse, die einen tiefen Eindruck über den ungerechten Umgang von Menschen mit Menschen bewirken und die immer zu der Frage der Verantwortlichkeit und zur Schuld führen.
Dieses erste Buch von Marie-Luise Knopp hat noch etwas anderes bewirkt: Die Autorin berichtet von einer großen Freundschaft, die sie in der Haft geknüpft hat. Es ist Kristel, die sie in den schwersten Stunden kennenlernt, für die diese Haft ebenso schwer erträglich wird wie für sie selbst und die letztlich nichts anderes versucht hat, als der DDR zu entrinnen, um später ein Leben in Freiheit zu führen. Beide Frauen klammern sich in dieser großen Not aneinander wie Schiffbrüchige an eine Rettungsinsel.
Sie werden durch Schwur und schriftliches Versprechen für ein Leben aneinander gekettet und halten an diesem Bündnis gerade dann fest, als sie sich trennen müssen. Denn diese Trennung kommt unweigerlich, zumal man in der Haft, falls man unter die Freikaufregelung fiel, keinen Einfluss auf eine vorzeitige Entlassung bzw. den ersehnten Transport in Richtung Aufnahmelager Gießen hatte.
Wer Knopps erstes Buch gelesen hat, weiß von Marie-Luises Entlassung bzw. Abschiebung, die zeitlich vor der von Kristel liegt. Damit verlässt auch die Handlung in diesem Buch den gemeinsamen Erzählstrang. Marie-Luise kommt in die Bundesrepublik, Kristel bleibt zurück, ihr weiteres Schicksal ist – zumindest im Einzelnen – unklar. Zwangsläufig fragt man sich, was ist aus ihr geworden?
In diesem ersten Buch ist kein Raum für die Beschreibung von Kristels Lebensweg. Es hätte ganz sicher zu weit geführt und auch die Lesenden überfordert. Dennoch hat die Autorin das Anliegen aufgegriffen und innerhalb kurzer Zeit die Veröffentlichung des Lebensweges ihrer Freundin in diesem fortsetzenden Buch „Freundschaft trotzt Mauern“ geschafft. Das ist eine beachtliche Leistung, und ihr und dem Leser kommt dabei zugute, dass Kristel – sie ist leider mittlerweile verstorben – ihren Lebensbericht seinerzeit niedergeschrieben hat. Aus diesem aufbereiteten Bericht erfahren wir nun viel, er ist einer der beiden wesentlichen Handlungsstränge des Buches. Er gibt Aufschluss über Kristels Leben in der DDR, ihre aufreibende Zeit als Geschichtslehrerin und die zunehmende Qual, jungen Menschen falsche politische Werte vermitteln zu müssen.
Packend (und für den Leser eigentlich schwer erträglich) ist die Schilderung des Fluchtversuches. Es würde zu weit führen und die Spannung nehmen, dies hier im Detail auszubreiten. Gesagt sei immerhin, dass auch Kristels Weg aus der Haft in die Bundesrepublik führte und beide Freundinnen endlich zusammenbrachte.
Dieses erste Buch von den „Eingesperrten Gefühlen“ hat zudem zu einem weiteren Impuls geführt, und auch dieser mündet in das neue Buch „Freundschaft trotzt Mauern“. Es geht um Brit, die zweite Erzählerin, die sich nach der Lektüre der „Eingesperrten Gefühle“ so tief bewegt fühlte, dass sie zu der Autorin Kontakt aufnahm und zwischen beiden eine enge Freundschaft entstand.
Das Schicksal von Brit ähnelt dem der beiden anderen Frauen, und es ist auch dem vieler (nicht nur Frauen) Flüchtlinge nicht unähnlich. Sicher ist bei Brit die Ausgangsposition extrem. Sie entstammt einem betonharten kommunistischen Elternhaus und gerät früh in eine oppositionelle Haltung, wobei der Gedanke der Ausreise sehr spät in ihr aufkommt. Dann jedoch, als aus diesem Gedanken der Entschluss geworden ist, beginnt sie ihn Schritt für Schritt umzusetzen und lässt sich weder durch Erniedrigungen noch durch Hindernisse beirren. Sie will dieses Dasein in der DDR abschütteln, und sie kämpft, bis sie dann vor einem Vernehmer der Stasi sitzt.
Brit bleibt mehr als ein Jahr in der Haft. Dass sie mitunter an den Rand ihrer Kräfte gerät, hat mit den zwei Kindern zu tun, die kurz vor dem Schuleintritt stehen und durch die sie erpressbar ist. Nach ihrer (für sie selbst) überraschenden Inhaftierung verliert sie den Kontakt. Erst nach und nach erfährt sie, dass die Kinder getrennt bei der Schwester und den Eltern untergebracht wurden.
Man kann (und soll) in einer Buchvorstellung nicht den kompletten Inhalt wiedergeben. Gesagt sei allerdings, dass Brit Mitte der 1980er Jahre mit den Kindern ausreisen darf und sie es auch im Westen nicht leicht hat. Verwaltung und Bürokratie sind das eine, das andere ist das soziale Umfeld, das sich von dem in der DDR wesentlich unterscheidet. Einsamkeit und das hohe Maß an Eigenverantwortlichkeit sind Faktoren, die vielen ehemaligen politischen Häftlingen zu schaffen gemacht haben. Aber Brit erweist sich auch jetzt als starke Persönlichkeit. Sie beißt sich durch, schafft ein Studium und wird Rechtsanwältin, erlangt ein gutes Auskommen, das durchaus auch mit Wohlstand zu tun hat. Und doch fühlt sie sich nicht angekommen. Nach mehreren Auslandsaufenthalten und einem Probe-Job in Australien entscheidet sie sich tatsächlich für ein dauerhaftes Leben in „Down under“ und erwirbt – alle Achtung! – die australische Staatsbürgerschaft.
Dass sie dort ihr Glück findet, versöhnt auch uns Lesende mit den Härten ihres Schicksals. Und es schafft einen guten Abschluss für dieses (zweite) Haft-Buch. Man darf nunmehr gespannt sein, ob Marie-Luise Knopp weitere Freundschaften knüpft und dabei Schicksale sammeln und somit erneut zur Aufarbeitung von Diktatur und Unfreiheit, von Übersiedlung und Integration beitragen wird.
A. Richter-Kariger
Marie-Luise Knopp: Freundschaft trotzt Mauern. Überleben in und nach Hoheneck. 320 Seiten. Eingesperrte Gefühle bahnen sich ihren Weg. 214 Seiten. Geest Verlag, Vechta, 12,50 Euro.